Wenn man sich mit einem Thema besonders viel beschäftigt, merkt man immer mehr, wie komplex es ist. So empfinde ich es bei dem Wort ‚Geschlecht‘. Am Anfang erscheint es einem total simpel und klar, aber je mehr man sich damit befasst, desto facettenreicher wird es.

 

 

Viele haben Angst uns falsch anzusprechen, besonders wenn man optisch noch nicht klar eingeordnet werden kann. Nur wenige fragen, wie wir gerne angesprochen werden möchten. Darüber würden wir uns aber sehr freuen.

 

 

 

Es gibt Gutachter, die körperliche Untersuchungen vornehmen und einen unbekleidet sehen wollen. Die Blutdruck messen oder Reflexe am Knie testen wollen.

 

 

 

Wenn ich früher am Telefon als ‚junger Mann‘ angesprochen wurde, freute ich mich immer.

 

 

 

Menschen sagten mir, dass ich natürlich ein Mann sein will, wer will das denn nicht? Frauen gelten immer noch als minderwertiger. Darunter leiden cis und transidente Frauen.

 

 

LUCAS

– 07/06/2018 –



Wenn im Kindergarten Vater-Mutter-Kind gespielt wurde, war es mir egal, wen ich spielte. Anderen Kindern war es wichtig. Jungen wollten auf keinen Fall die Mutter und Mädchen nicht den Vater spielen.

Mit der Pubertät merkte ich, dass die ganzen Dinge, die meine Mitschülerinnen und meine Freundinnen super easy gemacht haben, für mich unglaublich anstrengend waren. Ich bin immer mitgegangen und war auch beim Sex and the City-Abend mit dabei, aber ich hatte immer das Gefühl alles falsch zu machen, mich bloß zu verkleiden und hatte Angst, dass die Leute um mich herum mitbekommen könnten, dass ich keine richtige Frau bin.

Am Anfang meines Studiums traf ich das erste Mal auf transidente Männer und hatte mit einer gewissen Queerness zu tun. Bei mir liefen die Zahnräder im Kopf, ich machte mir Gedanken, wollte aber nichts damit zu tun haben. Das Outing vor sich selbst ist das Schwierigste.

Irgendwann las ich Bücher über Geschlechtsidentität und redete mir ein, dass das bloß pures Interesse war. Ein Balian Buschbaum war mir bekannt, aber bis auf die Transidentität haben wir kaum etwas gemein.

Schrittweise wurde es immer weniger bedrohlich. Kleidung kaufte ich irgendwann in der Herrenabteilung. Ich traf trans Männer, die mir sympathisch waren und mit denen ich mich identifizieren konnte. Da kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht doch betroffen bin.

Noch bevor ich mein inneres Coming Out hatte, überlegte ich mir als Kind, wie eine Jungenversion von mir aussehen würde. Das wurde zu einer sehr detaillierten Vorstellung, ich verstand es aber als reine Spielerei. Heute sehe ich bestimmt anders aus als in meinen Vorstellungen – immerhin waren in den 90ern ganz andere Frisuren Trend.

Gegenüber meinem Körper habe ich gemischte Gefühle, wie wohl die meisten Menschen. Es gibt definitiv Tage an denen ich in den Spiegel blicke und mich ganz gut finde. An anderen Tagen ist es leider nicht so. Für viele ist die Körpergröße ein Problem. Mit meinen 1,68m fand ich das nie so schlimm, da ich genauso groß wie mein Vater bin.

Zu dem Zeitpunkt als ich Veränderungen wollte, mir aber klar war, dass es dauern würde, war es zu schmerzhaft genauere Vorstellungen von mir zu haben. Der nächste Gedanke war immer, dass das eh nichts wird und ich verbot es mir.

Mannsein bedeutet für mich, dass man sich selber so fühlt, sieht und definiert. Dazu braucht es gar nicht mal spezielle Eigenschaften oder besondere körperliche Merkmale. Man muss sich nur zugehörig fühlen. Ich kann mich mit Männern identifizieren, die nicht übertrieben machohaft sind.

Lieber weniger klischeemäßig männlich und dafür sensibler.

Mit meiner Identität möchte ich offen umgehen, aber auch selbst entscheiden können, in welchem Rahmen ich wann und mit wem darüber spreche. Das kann nicht jeder frei entscheiden, gerade wenn das Passing nicht gut ist, ist man mit größerer Wahrscheinlichkeit Diskriminierung ausgesetzt.

Als ich anfangs noch eher als maskuline Frau wahrgenommen wurde, hörte ich häufiger Beleidigungen wie Kampflesbe, obwohl ich einfach nur an Menschen vorbeiging. Eine gewisse Maskulinität im Kleidungsstil scheint schon eine Bedrohung für viele zu sein. An guten Tagen gab ich einen Scheiß drauf, aber wenn der Tag an sich schon schwierig war, hat es mich sehr verletzt.

Durch die Hormone wurde meine Stimme noch mal tiefer und die Gesichtsbehaarung fing an zu wachsen. Das war mir sehr wichtig. Was mich überrascht hat, war die vermehrte Behaarung an den Armen und Schultern. Hormone nehme ich nun seit drei Jahren und ich merke, wie sich mein Körper in die richtige Richtung entwickelt.

Vorher haben mich Kleinigkeiten gestört. Ich hatte mir ein schönes Hemd in der Herrenabteilung gekauft, was mir an den Armen leider viel zu weit war. Das, was vermutlich niemanden störte, symbolisierte für mich, dass mein Körper nicht so ist, wie ich ihn gerne hätte. Nach langer Zeit zog ich das Hemd mal wieder an und auf einmal passte es mir perfekt. Das war ein ganz toller Moment für mich!

In der Zeit, in der ich jede Woche ein bisschen anders aussah, wurde ich auch anders behandelt. Ich hatte das Gefühl, ernster genommen zu werden und mehr Privilegien zu haben, nur weil ich männlicher aussah. Persönlich war das für mich angenehm, aber es ist auch krass, wie unterschiedlich Menschen aufgrund des Geschlechts miteinander umgehen.

Wenn ich früher auf Partys von einer meiner Lieblingsbands erzählte, wurde ich gefragt, ob ich denn wirklich wüsste was die für Musik machen und ob ich genügend Alben gehört hätte. Jetzt wird es einfach angenommen. Man geht nun davon aus, dass ich von komplizierteren Dingen Ahnung hätte und wüsste, wie man mit Werkzeug umgeht. Vorher waren die Leute beeindruckt, wenn ich erzählte handwerklich interessiert zu sein.

Nachts, wenn ich durch die Stadt gehe, merke ich, dass ich als Mann wahrgenommen werde. Wenn eine Frau vor mir alleine hergeht, wirft sie einen Blick über die Schulter, um abzuschätzen ob ich eine Gefahr für sie darstelle. Das verstehe ich, das tat ich früher auch, aber es fühlt sich total komisch an, wenn jemand deinetwegen abschätzt, ob er sich Sorgen machen muss.

Von heterosexuellen Männern hörte ich, dass das, was zwei Frauen miteinander hätten, kein richtiger Sex wäre. Frauen wird gesellschaftlich häufig die eigene aktive Sexualität abgesprochen. Seit fast fünf Jahren bin ich in einer monogamen Beziehung mit meiner Freundin. Wir lernten uns in der Schule kennen, als wir beide noch tief in unserer Grufti-Phase waren, verloren uns nach der Schule aber aus den Augen, bis wir uns auf einem Geburtstag wieder begegneten. In der Zeit hatten wir beide unser Coming Out als pansexuell und kamen nach einigen Treffen dann sehr schnell zusammen.

Ziemlich früh offenbarte ich ihr, dass ich über meine Geschlechtsidentität nachdachte und ich mich nicht als Frau in dem Sinne sah. Allerdings war ich noch nicht bereit klar darüber zu reden und hatte Abende damit verbracht mich über das Thema zu informieren. Nachdem ich irgendwann für mich die Einsicht hatte, dass ich höchstwahrscheinlich ein Mann bin, hatte ich ihr als erstes davon erzählt.

Sie studierte zu der Zeit im Ausland und immer, wenn ich sie besuchte, konnte ich vor Ort wirklich so sein, wie ich wollte. Es war ein Umfeld, in dem mich niemand kannte und so konnte ich mich ausprobieren.

Sie unterstützte mich bei allem und gab mir immer viel Kraft.

Das ist etwas Besonderes, bei vielen scheitert die Beziehung daran.

Für mich hat es sich nie so angefühlt, als hätte meine Transidentität unsere Beziehung stark verändert. Lediglich ist es nun so, dass wir als heterosexuelles Paar wahrgenommen werden. Doch unsere Beziehungsdynamik ist anders. Für mich ist es immer wieder eine Frage, ob wir jetzt überhaupt noch als queer wahrgenommen werden.

Ein paar Monate später outete ich mich bei meinen Eltern. Alle dachten, dass es kein Problem sei, da meine Eltern so cool und entspannt seien und doch auch gleichgeschlechtliche Paare im Freundeskreis haben, aber meine Instinkte waren anders. Die ersten anderthalb Jahre waren schwierig. Sie hatten es nicht verstanden und es belastete sie.

Irgendwann aber löste sich der Knoten nach und nach. Ich glaube das ist passiert, als sie sahen, dass ich glücklicher und ruhiger wurde und mehr Selbstvertrauen hatte. Sie sahen, dass es keine Gefahr für ihr Kind war, sondern etwas, was ich schon immer mit mir herumschleppte.

Meine Eltern haben sich so gut entwickelt, ich bin unglaublich stolz auf sie. Es zeigt auch, dass jemand der es am Anfang nicht versteht, sich durchaus ändern und es verstehen lernen kann.

Der Name ‚Lucas‘ war auf einmal da. Vor circa zehn Jahren erhielt ich ein neues Handy, bei dem es nicht mehr den Eintrag ‚Eigene Nummer‘ gab. Stattdessen speicherte ich sie unter ‚Lu‘. Daraus kristallisierte sich dann der Name Lucas, der sich von Anfang an gut angefühlt hat. Meine Namens- und Personenstandsänderung ist aktuell leider noch im Gange.

Letzten Winter war ich beim Arzt, weil ich eine Mittelohrentzündung befürchtete, was als Musikstudent doppelt schlimm wäre. Mein Arzt war im Urlaub, die Vertretung rief mich mit meinem alten Namen auf und war sichtlich irritiert, als ich aufstand. Ich korrigierte sie und als ich noch keine zwei Sekunden im Behandlungszimmer war, fragte sie mich, ob ich denn schon die Operation habe machen lassen. Natürlich wusste ich, was sie meinte, fand es aber sehr unpassend und distanzlos und sagte nur, dass ich bisher keine Operation an meinen Ohren hatte. Ich finde, man muss sich nicht immer alles gefallen lassen.

In vielen Berichten liegt mir der Fokus zu sehr darauf. Generell rede ich über Operationen ungern. Für mich ist das eine persönliche Sache.

Vielen ist nicht bewusst, wie intim das Thema Operationen doch ist.

Viel wichtiger finde ich es, über die gesellschaftlichen und kulturellen Komponenten zu sprechen.

Sprachlich macht es für mich einen Unterschied, ob jemand sagt „Lucas ist ein Mann, der trans ist“ oder „Lucas ist ein Transmann“. Letzteres würde ich so nie benutzen, da die Schreibweise darstellt, dass die Person nicht wirklich als Mann angesehen wird. ‚Trans‘ ist nur ein Adjektiv, was einen beschreibt, so wie jemand groß oder klein ist. Selber mag ich den Begriff ‚transident‘, da er viele unterschiedliche Geschlechtlichkeiten umfassen kann.

Gestern lief im Fernsehen der Film Dallas Buyers Club mit Jared Leto als transidente Frau. Wieso gehen solche Rollen an Männer? Immer liest man, es sei die beste Person für die Rolle gewählt worden, aber das wäre eine transidente Frau und kein Mann.

Das erinnert mich an die Zeit, als noch afroamerikanische Filmrollen von schwarz angemalten weißen Darstellern gespielt wurden. Das ist auch nicht authentisch. Umgekehrt ist es so, dass transidente Frauen keine anderen Rollen bekommen.

Natürlich gibt es auch Diskriminierung innerhalb der Community. Vor ein oder zwei Jahren gab es in den USA die Petition ‚Drop The T‘ mit der ein paar Homosexuelle uns trans Menschen aus der LGBT-Community ausschließen wollten, da es bei uns nicht um die sexuelle Orientierung geht, sondern um die Geschlechtsidentität. Das ist krass, gerade wenn man an die Schwulenbewegung denkt, bei der von Anfang an auch Frauen und trans Menschen mitgeholfen haben. Das vergessen viele.

Gegen dieses Vergessen müssen wir angehen. Neben den geschichtlichen Ereignissen sollte auch das Thema Geschlechtsidentität in der Schule mehr besprochen werden. Als ich Sexualkunde hatte, war es gar kein Thema und Homosexualität wurde nur in einem Nebensatz erwähnt. Das würde die breite Masse erreichen und besser aufklären. Vielleicht wäre die Welt dann fairer für uns und wir müssten nicht mehr über so viele Hürden springen.

Aber auch wir betroffenen Personen müssen mehr tun, gerade uns transidente Männer rufe ich dazu auf, unsere transidenten Schwestern stärker zu unterstützen. Durch das Mannsein haben wir gewisse Privilegien und Vorteile, egal ob die angebracht sind und stimmen. Aber wir sollten sie nutzen, um etwas zu verändern. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig stützen und schützen.


 

„HELLO my name is…“