Früher habe ich Hosen nur tief sitzend getragen, keinen Millimeter höher als nötig, auch nach Testo nicht, als sich mein Hinternumfang verkleinerte. Die Angst, dass jemand mich als ‚nicht männlich‘ entlarvt, weil da keine Beule in der Hose ist, war stets da. Doch wer schaut seinem Gegenüber so hart in den Schritt, bis er sich sicher sein kann, keinen cis Mann vor sich zu haben? Man fixiert sich auf solche Dinge. Egal was man tut, es ist nicht genug, es gibt so viel, woran man potenziell erkennen könnte, dass man mit bestimmten Dingen nicht geboren wurde. Sprüche, Blicke und negative Erfahrungen nehmen sich manche dann so sehr zu Herzen, dass sie daran zerbrechen.

 

 

Es ist ein Scheißgefühl. Du hast was, was du nicht willst und willst etwas, was du nicht hast. Du musst gegen wahnsinnig viel Widerstand angehen, auch und vor allem gegen dich selber. Das Gefühl sich zu hassen, wünsche ich keinem.

 

 

 

Es gibt keine Kriterien, nach denen man bewerten kann, ob jemand trans, weiblich oder männlich genug ist. Jeder muss doch für sich selber entscheiden, was er möchte.

 

 

 

In der Uni gab es das Getuschel, dass eine Kommilitonin früher ein Mann gewesen sei. Für viele war es die Sensation schlechthin. Ich dachte mir nur… who fucking cares?!

 

 

JAKO*

– 15/06/2018 –



Schüchtern war ich schon immer. Meistens habe ich mich hinter meiner Mama versteckt, auch in dem Alter, als es merkwürdig war. Mit Menschen zu interagieren war für mich immer schon schwierig und ich brauche viel Überwindung, um zu einer unbekannten Gruppe zu gehen.

In der Schule war ich das Mobbingopfer, mit mir wollte keiner was anfangen. Ich wechselte dann zu einer katholischen Privatschule und wurde, wenn auch nicht streng, katholisch erzogen. Es galt der Gedanke, alle anderen aber nicht wir. Überrascht war ich dann zu Beginn des Studiums, als Personen ganz offen über ihre Homosexualität sprachen und es für alle ok war.

Eine Freundin hatte mir damals, noch während der Schulzeit, einen Youtuber gezeigt, der aussah wie 13, aber 18 Jahre alt war. In seinen Videos erzählte er, dass er trans ist und welche Probleme er hat. Ich fand das spannend, war eh immer schon interessiert an allem was nicht der Norm entspricht. Zu der Zeit habe ich gestruggelt und war in Therapie, weil ich depressiv war und Suizidgedanken hatte und nicht wusste, warum das so in meinem Kopf ist. Anfangs hatte ich mich dagegen gesperrt, irgendwann hatte ich dann aber gemerkt, dass es mich wohl doch betrifft. Nur wie reagiert die Familie darauf? Die fanden eh schon alles doof, was ich gemacht habe.

Als sie mir damals die Videos zeigte, hatte ich noch schulterlange blonde Haare und Bluejeans getragen, in der Zeit danach hatte ich mir die Haare abgeschnitten, schwarz gefärbt, mir Jeans in der Männerabteilung gekauft und übergroße Pullover angezogen, die verschleierten, was ich nicht zeigen wollte.

Ich hatte das dann ewig für mich behalten, letztlich aber doch der Freundin erzählt. Sie meinte, dass sie mich nicht bedrängen wollte, aber schon die ganze Zeit darauf gewartet hatte, dass ich ihr das endlich sage. Von da an war sie meine Ansprechperson. Freunde erfuhren es dann als erstes, meine Eltern zuletzt.

Ich hatte gezögert es zu erzählen, da ich mir zunächst unsicher war.

Während einer Sprachreise nach England testete ich mich aus. In den zwei Wochen sollten meine Freunde mich mit Jako und männlichem Pronomen ansprechen. Das war wirklich gut und ich war glücklich. Es war der erste Schritt in die richtige Richtung und dieses Gefühl wollte ich behalten und mich nicht mehr so scheiße fühlen wie sonst.

Durch die letzten Schuljahre quälte ich mich. Das halbe Jahr in Schweden sollte meins werden. Ich wollte mich outen, konnte es aber nicht, weil ich noch nicht dazu bereit war. In der Zeit war ich sehr unglücklich, weil ich mir etwas vorgestellt hatte, das dann so nicht eingetreten ist.

Meinen Eltern schrieb ich einen Brief. Sie hatten schon gemerkt, dass ich mich veränderte, äußerlich als auch innerlich. Freunde sprachen mich mit Spitznamen an, die sich nicht von meinem Geburtsnamen ableiten ließen. Meine Eltern waren dann auch erleichtert, weil ich ihnen endlich erzählte, was mit mir los war.

Vorher wussten sie nicht, was mit mir war. Wir hatten nicht wirklich Kontakt und sie wussten nicht mehr, als dass ich unglücklich war. Aber es war auch schwer für sie, ich glaube meine Mutter hatte Gefühle in der Richtung, dass sie ihr Kind verloren hat, weil ich plötzlich jemand anderes war. Doch das war ich nicht, ich war endlich glücklich und wusste wer ich bin. Ich bin einfach ich und nicht weiblich.

Anfangs suchte sie noch nach Strohhalmen, vielleicht sei ich gar nicht trans, sondern nur hochbegabt. Das war schwer, ich wusste darauf nichts zu sagen und drehte mich nur um und ging. Der Psychologe konnte sie dann ein wenig aufklären und ihr deutlich machen, dass das Bullshit ist. Danach konnte sie sich besser darauf einlassen, da ihr nichts anderes mehr übrig blieb.

Mein Vater ist nicht so der Kopfmensch. Er hat zu der Thematik nicht so den Zugang und meinte, wenn ich das so sehe, dann ist das okay. Andererseits fand er das auch nicht so cool, weil dadurch neue Probleme entstanden.

Ich mache ihnen aber keinen Vorwurf, sie waren immer für mich da, nur hatte ich mich unverstanden gefühlt. Das war in der Situation natürlich scheiße, aber seitdem das geklärt ist, unterstützen sie mich. Sie haben dann auch mit der weiteren Verwandtschaft geredet und es geklärt.

Meine Oma bekommt das immer noch nicht mit dem Pronomen hin, verwendet aber den richtigen Namen. Mein Opa meinte mal zu mir, dass er mir aus seiner Erfahrung als Politiker raten würde, immer eine Tür offen zu halten, sollte es doch nicht klappen.

Mein zwei Jahre jüngerer Bruder hatte anfangs Angst, dass sich alles ändern würde. Aber als er gemerkt hatte, dass es mir besser geht und wir uns auch besser verstehen, hatte er keine Probleme mehr.

Inzwischen habe ich das erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Ich nehme Testo, das ich nach einem halben Jahr nach Therapiebeginn bekommen habe. Das Fett verteilt sich anders und ich habe einen merkbar besseren Muskelaufbau, auch wenn ich durch die Mastektomie bestimmt einiges an Muskulatur verlor. An der Stelle habe ich nun eine leichte Kuhle. Aber deswegen mag ich mich nicht weniger, ich spüre keine Resignation, sondern ich sehe mein Potenzial.

Ich habe nun Haarwuchs an Stellen, an denen ich lieber keinen hätte.

Zum Beispiel am unteren Teil des Rückens. Gerne hätte ich auch verminderten Haarwuchs am Bauch. Im Gegensatz zu vielen trans Männern möchte ich keinen Bart tragen. Meine Narben hätte ich gerne kaschierter und die Nippel kleiner, aber ich habe jetzt, noch kein Jahr nach der OP, nicht mehr das Gefühl, dass ich ein Tattoo über die Narben bräuchte.

Mein Zweitname hat den gleichen Anfangsbuchstaben wie mein Geburtsname. Ich habe ihn auf einer Namensliste im Internet gefunden. Die Namens- und Personenstandsänderung war sehr nervenaufreibend und dauerte lange. Eigentlich wollte ich bis zum Beginn des Studiums damit durch sein, das hat jetzt aber erst im dritten Semester an der FH mit der Umstellung funktioniert, da die zuständige Person sehr inkompetent war. Auch mein Abizeugnis ändern zu lassen war schwierig, da sich die Schule erst querstellte.

Anfangs habe ich mich mit den ganzen Begrifflichkeiten und Definitionen stärker auseinandergesetzt, inzwischen habe ich viele vergessen. Bei einer kurzen Antwort sage ich, dass ich FtM bin, aber ich bin eher nicht binär. Auf gar keinen Fall würde ich mich als weiblich verordnen, aber ich habe auch gemerkt, dass es für mich gar nicht so sehr darauf ankommt, männlich zu sein, sondern einfach nur ich selber und glücklich zu sein.

Nach wie vor finde ich es merkwürdig, wenn mich jemand mit männlicher Anrede anspricht. Jedes Mal frage ich mich, ob ich gemeint bin. Es fehlen in der deutschen Sprache Pronomen für dazwischen und außerhalb. Vielleicht muss ich mich aber auch erst noch richtig daran gewöhnen.

Es gibt doch einige Unterschiede, wie Männer und Frauen gesellschaftlich gesehen werden. Männer werden häufiger ernstgenommen als Frauen, die eher unterschätzt werden. Früher wurde ich komisch angeschaut, wenn ich erzählte, dass ich Sport mag. Heute nimmt man das einfach an. Vielleicht strahle ich auch einfach mehr Selbstbewusstsein aus und werde deswegen weniger hinterfragt.

Unterhaltungen haben sich auch geändert. Da ich gerne immer erst ‚Stealth‘ lebe, also nicht von meinem Transsein erzähle, gibt es unter Männern häufig Dickjokes. Früher wollte auch keiner des männlichen Geschlechts mit mir befreundet sein. Meine beiden männlichen Freunde wissen aber Bescheid.

Komisch werde ich nun für meine Interessen angeschaut, die früher kein Problem waren. Ich interessiere mich unter anderem fürs Einrichten, Haare und Make-up. Ich bin sehr kreativ, male Dinge und schreibe Geschichten und Gedichte. Kinderserien, die für Mädchen produziert wurden, schaue ich ebenso. Nur selten erzähle ich von meiner Kindheit, in der ich mit Barbies, Polly Pocket und Playmobil gespielt habe, da man ansonsten direkt wieder in Frage gestellt wird.

Wenn mich Leute nach meiner Sexualität fragen, sage ich immer, dass ich gay bin, auch wenn ich mich nicht so verorte. Aber es ist einfacher als die Vielfalt der breiten Bandbreite der verschiedenen Sexualitäten zu erklären.

Bei meiner letzten Beziehung war ich mir nicht sicher, worum es ihm ging. Vor mir war er nur mit Frauen zusammen und Testo hatte ich zu der Zeit noch nicht genommen. Ich weiß nicht, ob er mich so wahrgenommen hat, wie ich wollte. Vielleicht war ich noch weiblich genug für ihn.

Aktuell date ich nicht, dann muss ich mich auch nicht erklären. Aber nachdem ich mich jetzt ein paar Jahre mit mir beschäftigt habe und selbstsicherer geworden bin, habe ich schon wieder Lust nach draußen zu gehen.

Ich verspüre nicht mehr diesen andauernden Hass auf mich selbst.

Ich habe das Gefühl, nun ich zu sein und das mit dem Glücklichsein endlich schaffen zu können. Ich merke, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Vielleicht wäre ich meinen trans Weg nicht so gegangen, wenn ich als das gesehen worden wäre, was ich bin. Einfach ohne die Voraussetzung von bestimmten Eigenschaften und Erwartungen, die an einen gestellt werden. Vielleicht hätte ich es nicht für nötig empfunden, all das machen zu müssen, was ich jetzt gemacht habe. Das hätte mir all die Ungerechtigkeiten, die ich erlebt habe und erlebe, erspart.

Denn als ich meine Mastektomie hinter mir hatte und nachdem alles halbwegs verheilt war, stellte ich fest, dass es doch irgendwie wahnsinnig bescheuert ist, dass sich körperlich gesunde Menschen durch so einen Horror quälen. Dazu kommen noch Menschen, gerade im Internet, ohne eigene Erfahrungen und wollen einem mitteilen, dass man nur auf Aufmerksamkeit aus ist und dass so etwas wie Transsein eigentlich gar nicht existiere.

Das Konstrukt Geschlecht ist einfach ein Haufen Scheiße. Es grenzt Menschen nur aus. Wir sind nicht gleichgestellt, nicht jeder kann so sein wie er möchte. Das weiß ich aus erster Hand. Wenn es das so nicht geben würde, wäre ich vielleicht mit mir einfach ok gewesen.

 

*Name auf Wunsch geändert


 

cover
album-jako2
album-jako3
backcover

Privates Fotoalbum

 

in den Spiegel zu gucken
mich nicht wegzuducken
mich nicht zu verkriechen
fällt mir immer schwerer
mich nicht zu erschießen
fällt mir immer schwerer

– 08/04/2016 –