Erst dachte ich, es sei eine Art Fetisch und hielt es für eine transvestitische Geschichte, da es für mich mit sexueller Erregung einherging und ich es so in Zeitungen gelesen hatte. Fall erledigt. Transsexualität war mir kein Begriff, in den Medien gab es dazu keine Berichte und das Internet steckte noch in den Kinderschuhen. Bis auf den Austausch auf Partys war nicht viel möglich, Begriffe gab es nicht. Für mich war anfangs Transsexualität nur eine Steigerung von Transvestismus. Dass das falsch ist, wusste ich erst später.

 

 

Wenn ich mir die Frau ohne den Mann aussuchen müsste, würde es gehen, aber wenn ich mir nur den Mann ohne die Frau aussuchen müsste, hätte ich ein Problem.

 

 

 

Für mich ist mein Körper nicht falsch, nur hat er Geschlechtsmerkmale, die nicht zu meinem Inneren passen. Aber es ist eben ein gesunder Körper, es ist mein Körper.

 

 

 

Ungeschminkt verlasse ich das Haus nicht. Sonst würde ich Gefahr laufen, nicht mehr so wahrgenommen zu werden, wie ich mich fühle.

 


 

Als Mann genieße ich es, mich in ein Café zu setzen und ein Buch zu lesen. In dem Moment bin ich so unauffällig. Als Frau bin ich viel länger auf dem Präsentierteller, die Blicke dauern länger und sind intensiver.

 

 

NATASCHA

– 06/06/2018 –



Über die Jahrzehnte habe ich nach einer klaren Definition gesucht, was es bedeutet, Frau zu sein, aber eine Formel habe ich immer noch nicht gefunden. Im Freundes- und Bekanntenkreis habe ich nur lange Gesichter und großes Unverständnis auf meine Frage geerntet. Gab es doch mal eine Antwort, ging es um stereotypisches Aussehen und klischeehaftes Verhalten, wie dass man als Mädchen gerne Pferde und Puppen mag.

Geschlecht kann für mich zweierlei sein. Das biologische Geschlecht einerseits, andererseits das gefühlte im Kopf. Letzteres stellt für mich das eigentliche Geschlecht dar und hat Priorität. Entweder sie stimmen überein, wie bei dem Großteil der Menschheit, oder nicht. Dann zählt meistens das zwischen den Ohren.

Zwar sitze ich als Natascha hier, aber ich habe noch keine endgültige Entscheidung getroffen und lebe einen Teil meines Lebens noch anders. Ich habe Zweifel, aber das ist ein Fortschritt, da ich vor kurzem noch nicht wusste, wo mich der Weg hinführt. Nun gehe ich den Weg, aber weiß nicht, ob er richtig für mich ist. Mein Problem ist, ich bin eine Perfektionistin und brauche eine hundertprozentige Lösung als Sicherheit und brauche dadurch meistens länger als andere.

Vor 20 bis 25 Jahren wurde der Gedanke konkret, dass ich eine Frau sein könnte. Einen speziellen Auslöser gab es nicht, im Nachhinein fallen einem aber Anzeichen auf. Sei es das Tauschen der Klamotten mit der Kindergartenfreundin, weil man den Rock schöner als die eigene Hose fand, oder das gelegentliche Anziehen der Kleidung der Mutter. Aber in dem Moment ist es einem nicht bewusst.

Eines Tages war ich mit einer Bekannten zusammen in Düsseldorf auf der Kö zum Einkaufsbummel. Während der Pause im Straßencafé quatschten wir über die Leute und ich erwischte mich dabei, wie ich den älteren Damen mit dem Gedanken, auch mal so alt werden zu wollen, hinterherschaute. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass es ausnahmslos Frauen waren. Da kam mir der Gedanke, dass es vielleicht doch mehr ist, als mal tageweise ins andere Geschlecht zu hüpfen.

So probierte ich mich aus. In Holland haben wir ein Haus und dort habe ich durchaus mal wochenlang als Frau gelebt. Doch zu einer Entscheidung hat es mich bisher nicht geführt.

Die Outings verliefen nicht immer ohne viel Heulerei meinerseits.

Meistens fange ich mit Fotos von mir als Natascha an und komme dann schnell darauf, dass ich im falschen Körper lebe, auch wenn ich die Formulierung nicht mag.

Durch das Zeigen der Bilder erhalte ich eine Reaktion, anhand derer ich individuell auf das Thema eingehen kann. Wenn jemand nichts wahrnimmt, dann muss ich die Situation aufklären. Aber wenn jemand es erkennt, dann kann ich am Gesicht ablesen, in welche Richtung die Reaktion geht und mich so darauf einstellen, wie ich erkläre und argumentiere. Gleichzeitig festigt sich sofort ein Bild und ich muss nicht gegen eine falsche Darstellung entgegenwirken, was viel schwieriger ist.

Bisher habe ich auch keine negativen Reaktionen erhalten. Meine Freundin, die nicht lesbisch ist und mit der ich erst nach dem Outing zusammengekommen bin, sagte in dem Moment des Outings, dass jetzt alles stimmig ist.

Schwerer war es, mich bei meinen Eltern zu outen, da ich mir unsicher war, wie sie reagieren. Ich hatte nicht erwartet, dass sie mir mit vollster Unterstützung entgegnen, wie sie es dann taten. Letztlich war es dann einfach, doch der Anfang nicht. So ein Outing ist zwar mit Mut verbunden, geschieht aber aus einer Notwendigkeit heraus.

Wenn ich mich als trans Frau beschreibe, lehne ich mich schon sehr weit aus dem Fenster. Fest steht jedoch, ich bin entweder ganz oder gar nicht, dazwischen funktioniert es für mich nicht. Zur Erklärung nutze ich den Begriff ‚Transsexualität‘, da er gesellschaftlich am geläufigsten ist, lehne ihn selber aber ab. Es hat nichts mit der Sexualität zu tun, was fälschlicherweise bei dem Begriff angenommen wird. Besser ist ‚Transidentität‘, intern nutze ich meistens ‚Trans*‘, da der Stern für die vielen Facetten steht, die es gibt und ich mich selber noch nicht ganz genau verorten kann. Außerhalb der Community denken viele dabei aber eher an eine Spedition.

In unserem Verband arbeiten wir am Bewusstsein für die große Geschlechtervielfalt zwischen Mann und Frau. Das ist schwierig, da der Mensch in Schubladen denkt, ohne das zu hinterfragen. Auch wenn wir selbst gegen diese Vorurteile kämpfen, um Akzeptanz zu schaffen, ist es auch so, dass wir oftmals ebenso agieren.

Am liebsten würde ich sagen können, dass es innerhalb der Community gar keine Diskriminierung gibt. Mir selber ist es auch noch nicht passiert, aber es gibt sie definitiv. Unter trans Frauen sind Zickenkriege und Neid verbreitet, die meines Erachtens häufig in der Intensität die Streitigkeiten unter cis Frauen bei weitem übersteigen. Diskriminierung, wie wir sie auf der Straße erleben, gibt es eher nicht. Da sitzen wir dann schon im selben Boot.

Schwieriger ist es in der LGBT-Community, in der viel Unwissen über das Thema ‚Trans‘ herrscht, weswegen wir immer wieder Schwierigkeiten haben, dort akzeptiert zu werden. Nichtsdestotrotz ist es auch so, dass uns sehr viel geholfen wird von Schwulen und Lesben, gerade in Bezug auf Verbandsarbeit. Sie haben uns viel beim Aufbau geholfen.

Männer und Frauen werden auf vielen Ebenen unterschiedlich behandelt. Meine Berufssparte ist so stark männlich dominiert wie keine Zweite. Es herrscht ein uraltes Bild der Geschlechterrollen. Der Mann ist der Beschützer, der leitet und führt und wird zuerst genannt. Die Frau wird oftmals nur als Beiwerk betrachtet und der Zugang zu höheren Positionen erschwert.

Deswegen glaube ich auch nicht, dass ich dort weiterarbeiten könnte, wenn ich den Weg vollends gehe. Quasi die erste trans Frau in dem Bereich. Vielleicht würde ich auch breite Unterstützung erhalten, aber da bin ich eher Skeptikerin und selbst wenn, möchte ich lieber in der Masse untergehen.

Ich hätte nicht die Kraft dazu, so eine Vorzeigefigur zu werden.

Losgelöst von Stereotypen, dürfte in einer modernen Gesellschaft jeder wirklich so sein, wie er mag. Das ist die Krux, in der wir trans Menschen uns oftmals befinden. Einerseits wollen wir uns von Klischees und Stereotypen lösen, andererseits sind wir manchmal schon fast eine karikatureske Darstellung von Rollenbildern, gerade in der Anfangszeit.

Der Rock möglichst kurz, um viel Bein zu zeigen. Die Absätze hoch, auch wenn man darauf nicht laufen kann. Die Haare blond. Bei trans Männern ist das nicht anders mit den Übertreibungen. Aber das ist alles Quatsch, viel wichtiger ist es sich selbst zu finden.

Selber trage ich schon lange blonde Haare, da es mir viel besser steht. Ich habe aber mit dunklen Haaren angefangen, da sie meiner natürlichen Haarfarbe entsprechen, es sah jedoch nicht so gut aus wie blond. Hohe Schuhe fand ich immer toll und kann auch darauf laufen, aber ich brauche sie nicht mehr. Auch Röcke hängen bei mir in reichlicher Zahl im Schrank, trage aber nur Hosen draußen, da ich sie bequemer finde.

Ich bin klar bei mir, kleide mich so, wie ich mich gerade fühle und dennoch gibt es eine Facette, die mich erschreckt, auch wenn ich sie nicht ablehnen möchte. Warum muss ich jetzt mit diesen Haaren herumlaufen? Warum trage ich Schmuck? Warum eine Bluse? Warum kann ich nicht einfach mit T-Shirt in der Hose hier sitzen und mich trotzdem weiblich fühlen? Warum muss ich äußere Attribute wählen, die mich für andere erst klar als Frau definieren?

Einerseits fühle ich mich damit wohl, aber jede Frau und jeder Mann fühlt sich auch ohne wohl. Auch wenn ich mich in T-Shirt und Jeans weiblich fühlen kann, heißt es nicht, dass mich andere dann so wahrnehmen – aber genau das möchte ich. Also tue ich alles dafür, auch wenn ich dann in der Klischeekiste bin.

In der Zeit, in der mein Passing noch nicht so gut war, war ich mit einer Freundin in einem Düsseldorfer Schuhgeschäft unterwegs. Am Eingang stand eine Mutter mit ihrer dreizehnjährigen Tochter, die sich sichtlich langweilte. Als wir an ihnen vorbeigingen hörte ich den Satz: „Mutter, Mutter, haste gesehen gerade, das war doch ein Typ!“. Ich wollte zum Teufel kein zweites Mal an ihnen vorbeigehen, doch irgendwann wollten wir das Geschäft wieder verlassen und besagte Freundin meinte zu mir, ich müsste da durch. Als wir nach vorne gingen stupste das Mädchen ihre Mutter an, die kurz hochschaute, mich von oben bis unten scannte und dann den Daumen nach dem Motto „sieht gut aus“ hochhielt.

In meinem Leben wurde ich vielleicht zwei oder dreimal „enttarnt“ und erhielt eine Reaktion. Wenn mir jetzt Leute hinterherschauen weiß ich nicht mehr, ob sie das tun, weil sie einen Verdacht hegen oder weil ich ihnen gefalle. Das sage ich mir, um mein Ego manchmal anzuheben, aber es ist ein Lernprozess. Es gab Zeiten, in denen ich jedes Lachen in Hörweite als Lachen über mich verstand. Man bezieht alles auf sich und fühlt sich angesprochen, wenn Leute schauen oder lachen, auch wenn es ganz andere Gründe dafür gibt.

Derzeit bin ich auf dem Weg, die Entscheidung schon fast getroffen zu haben, aber dazu gehört mehr, man muss das dann auch leben wollen. Wahrscheinlich muss ich mich beruflich verändern und ich weiß noch nicht, ob ich dazu bereit wäre. Wie heißt es so schön, wenn der Leidensdruck für eine Sache hoch genug ist, nimmt man alles in Kauf. Ich weiß nicht, ob ich so viel leide, wie andere vorgeben.

Mich kostet das Switchen immer enorm viel Energie und Zeit.

Die Kontrolle darüber zu behalten, wer was weiß, wo man sich wie verhalten und was erzählen kann, das zehrt an einem. Aber auch das Ändern von zwei optischen Zuständen ist anstrengend. Es gibt Tage, an denen ich berufliche Termine absagen möchte, weil ich nicht in der Lage bin, wieder die Rolle des Manns einzunehmen. Diese Situationen häufen sich.

Zwar bin ich bei meiner Entscheidungsfindung bei einem deutlich höheren Anteil als 51 Prozent für die Frau gegenüber dem Mann, aber noch lange nicht da, wo es für mich Sicherheit bedeutet, um eine endgültige Entscheidung treffen zu können. Ich finde es immer wieder bewundernswert, wenn Leute mit einem klaren Bild von sich leben und wissen, wer sie sind und was sie wollen. Bei mir dauert das länger, wie mit allen Dingen in meinem Leben, aber irgendwann war es dann meistens so klar, dass ich nie wieder darüber nachdenken musste. Es dauert nur scheißlange.


 

„Verruchtheit“, 2004