Irgendwann erreichte ich letztlich den Punkt, an dem ich nicht mehr anders konnte. Berufsbedingt hatte ich ein Burn-out. 50 Stundenwoche, etliche Nachtschichten, keine Anerkennung. Die Firma ist vor die Wand gefahren, ich war fertig. Da fing es bei mir an, dass ich nach Jahrzehnten das erste Mal über das Thema gesprochen habe. Vor drei Jahren habe ich mich dann geöffnet und mein wahres Ich gezeigt. Seitdem bin ich auf dem Weg endlich komplett ich und richtig zu werden. Doch es hat vorher eine ganze Weile gedauert, die Einzelteile zusammenzusetzen und mir bewusst zu werden, dass ich eine Frau bin.

 


 

Als Kind war ich immer anders. Durch den Asperger-Autismus hatte ich kaum Kontakte. Ich spielte gerne Schach und wandte die Methodik auch bei Menschen an: Ich plante meinen Zug und überlegte, wie der Gegenangriff aussehen könnte.

 

 

 

Das erste Mal in meinem Leben habe ich eine Freundin. Da wir beide Katzen mögen, habe ich ihr und mir einen kleinen Luchs mitgebracht. Eines Tages wünsche ich mir eine Lebensgefährtin an meiner Seite.

 

 

 

Jahrelang habe ich versteckt unter der Kleidung Bustiers und Strings getragen. Immer wenn ich Leggings trug oder zu hüftlastig lief, sagte mein Vater, dass ich mich anders anziehen und bewegen soll.

 

 

 

Seitdem ich zu mir stehe, fühle ich mich frei. Die Mauern, die ich um mich herum aufbaute, sind jetzt eingerissen und die Kommunikation, die sich 40 Jahre lang aufstaute, will nun raus.

 

SANDRA-ASJA

– 21/05/2018 –



Konkurrenzdenken, Härte und Ellenbogenbereitschaft. Das männliche Verhalten fand ich damals oftmals mies und schlecht. Im Stehen konnte ich nie pinkeln, bei Filmen habe ich mit der weiblichen Figur mitgefiebert.

In der Grundschule habe ich mich in der Jungenumkleide unwohl gefühlt. In der achten Klasse gab es im Schwimmunterricht den Vorfall, dass ein paar Jungs mittels eines Vorsprungs in die Mädchenumkleide schauen konnten und dies taten. Ich habe mich verletzt gefühlt. Es war ein Moment, in dem ich kurz gemerkt habe, dass ich eigentlich selber ein Mädchen bin.

Früher habe ich immer gerne mit meiner hohen Stimme gesungen, da war der Stimmbruch das erste körperliche Signal der falschen Entwicklung. Später kam der Bartwuchs, noch später die Geheimratsecken. Das fühlte sich für mich einfach nur falsch an.

Doch mir fehlten Vorbilder und Begrifflichkeiten. Mitte der Neunziger kam ich zu dem Punkt, dass ich irgendwie lesbisch bin, aber bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ich artikulieren konnte, dass ich eine Frau bin, dauerte es noch mal zwei Jahrzehnte.

Zu meinen Eltern hatte ich damals ein schwieriges Verhältnis und eine Zeit lang sogar so gut wie keinen Kontakt. Als dann eines Tages meine Cousine aus Amerika zu Besuch war und die ganze Familie mütterlicherseits sich versammelte, war es so weit – es musste jetzt raus. Ich hatte mir meine superschicken und bequemen High Heels angezogen, dazu Hotpants, neongelbes Bustier und ein transparentes Top darüber. Das sah vielleicht nicht super toll aus, aber es war eindeutig genug. Meine Cousine verstand es sofort und freute sich für mich, die anderen haben etwas länger gebraucht es zu begreifen. Bei meiner Verwandtschaft väterlicherseits war es etwas schwieriger.

Ich war bereits das schwarze Schaf, weil ich kein Messdiener wurde.

Auf meinen neuen Namen kamen die meisten gut klar, auch wenn es nach vierzig Jahren eine Umstellung war. ‚Sandra‘ hatte meine Eltern nicht überrascht, da ich die gleichnamige Sängerin sehr gerne mochte. ‚Asja‘ war der Name eines Mädchens, welches ich kannte und nett fand, das dann aber leider weggezogen war. Auf beide Namen habe ich eigentlich schon seit Jahrzehnten gehört, habe mich immer angesprochen gefühlt, schon seit meiner Schulzeit.

Das Verhältnis zu meinen Eltern wurde danach richtig gut. Leider verstarb mein Vater ein halbes Jahr nach meinem Outing bereits. Doch in diesen sechs Monaten näherten wir uns wieder an, fuhren gemeinsam in den Urlaub und kamen ins Reine miteinander. Schade ist nur, dass uns zusammen nicht mehr Zeit vergönnt war.

Meine Pubertät hole ich jetzt endlich nach. In diesem und letztem Jahr bin ich so oft ausgegangen, wie nie zuvor in meinem Leben. Es war immer schön und hat mir Energie gegeben, egal wie kaputt ich am nächsten Morgen war.

Mein Trans-Weg verläuft langsam. Hormone nehme ich nun seit zwei Jahren und nach dem zweiten Anlauf wurde nun endlich auch die Haarentfernung im Gesicht, am Hals und am Handrücken bewilligt. Zwei Sitzungen habe ich schon hinter mir, insgesamt gibt es so acht bis zwölf Termine. Das reicht um ungefähr jede Stelle zweimal zu erwischen und hoffentlich um alle Haare zu entfernen.

Das und das Styling machen zwar schon viel aus, aber die körperliche Angleichung ist mir wichtig. Für mich ist das der Ausgangspunkt, dass mein Körper falsch ist und richtig werden muss. Leider dauert es lange einen Operationstermin zu erhalten, da es nur wenige Operateure gibt und noch weniger, die ihr Handwerk beherrschen. Bis zum Vorstellungsgespräch ging es bei mir noch zügig, bis zur Operation dauert es mindestens 18 bis 24 Monate, die zweite OP wird zwei bis drei Monate später durchgeführt. Bei anderen Ärzten wartet man schon Monate auf einen Vorstellungstermin.

Durch die bisherigen Veränderungen mag ich meinen Körper schon mehr in der Form, aber es gibt noch genügend Stellen, die ich noch nicht mag. Neben den Operationen dürfte mein Körper gerne etliche Kilos weniger haben. Damit bin ich jedoch nicht alleine. Viele von uns haben das Problem, ein paar Kilos zu viel zu haben. Bedingt ist das durch den langjährigen männlichen Muskelaufbau und Stoffwechsel, der sich durch die weiblichen Hormone verändert. Wenn man sich zusätzlich aus Frust noch hochgefuttert hat, ist das verdammt schwer wieder loszuwerden.

Ich würde gerne meine Stimme verändern, aber das ist nicht so leicht. Bei einzelnen Sätzen klinge ich weiblicher, aber gerade, wenn ich länger spreche, kommt meistens die männliche Stimme wieder durch. Wenn man noch jünger ist und sein Transsein erkennt, ist es einfacher, da die Pubertät geblockt werden kann und sich so keine negativen Veränderungen festsetzen. Gerade uns älteren trans Frauen sieht und hört man es meistens an.

Irgendwann will unser inneres pubertierendes Mädchen raus.

Besonders in der Anfangsphase schießen wir im Bezug aufs Styling oftmals übers Ziel hinaus. Schuhe können nicht hoch und der Minirock nicht kurz genug sein. Man muss sich selber finden, das sieht nicht immer gut aus.

Dann kichern Menschen hinter einem her, zeigen auf oder sprechen über einen. Das schmerzt. Es hat sich in den letzten Jahren aber schon deutlich gebessert. Wenn mich wer fragend anschaut, kläre ich den Menschen auch gerne auf.

Gerade auf einem kleinen Dorf wie hier fällt man auf, aber ich will mich nicht verstecken. Auch mit vielen der ortsansässigen Flüchtlinge habe ich schon gesprochen und sie aufgeklärt, wir grüßen uns heute immer noch.

Richtige Diskriminierung habe ich auf der Arbeit nach meinem Outing erfahren. Während mich viele bei meinen ersten Schritten unterstützten, beschwerte sich eine Frau, wodurch ich fortan nicht mehr auf die direkt nahegelegene Damentoilette gehen durfte. Auf die Männer- oder die barrierefreie Toilette wollte ich nicht, insofern musste ich immer einen weiten Weg gehen, um die Damentoilette im Hauptgebäude aufsuchen zu können. Dadurch verlor ich erheblich Arbeitszeit und meine Arbeitsleistung wurde so gedrückt. Als die Auftragslage schlechter wurde, hieß es dann: Tschüss!

Momentan befinde ich mich in einer Umschulung im Bereich Informatik und Systemadministration, da ich mich zwar schon immer dafür interessiert, aber nie einen formalen Abschluss gemacht habe. Durch mein ganzes Wissen hätte eine externe Prüfung ausgereicht, jedoch möchte ich möglichst auch die geschlechtsangleichenden Operationen in dieser Zeit hinter mich bringen und nicht direkt im neuen Job ausfallen. Außerdem möchte ich anschließend noch den Ausbilderschein machen, um mein Wissen weitergeben zu können.

Die Namen- und Personenstandsänderung habe ich noch nicht durchgeführt, da ich es nicht einsehe, eine erhebliche Summe dafür zahlen zu müssen. Man könnte zwar auch Prozesskostenhilfe beantragen, aber das ist neben dem normalen Papierkram ein zusätzlicher riesiger Aufwand. Früher habe ich gerne Papierkram erledigt, doch inzwischen hasse ich es wie die Pest.

Wieso ist das mit den Gutachten so teuer? Die neuen Papiere kosten an sich schon Geld und viele von uns haben entweder keinen oder unterbezahlte Jobs, gerade in der Transition. Ich hoffe auf eine Änderung der Gesetze und Rechte, wie es eigentlich das Bundesverfassungsgericht auch schon angeordnet hat. Leider konnten sich die Ministerien bisher nicht einigen. Anstatt uns noch zusätzlich sowohl finanziell als auch psychisch zu belasten, könnte man das vereinfachen, so wie es in anderen Ländern schon gang und gäbe ist, und aufhören Ressourcen zu verschwenden.

Momentan gilt die Transsexualität noch als psychische Krankheit, mit dem neuen Krankheiten-Katalog ICD11 soll es endlich eine eigene Stellung bekommen. Es ist für uns sehr wichtig, dass man Transsexualität entpathologisiert.

Therapeutische Begleitung halte ich durchaus für etwas Sinnvolles. Studien gehen davon aus, dass mindestens jede zweite Person bereits Suizidgedanken hatte. Es wäre wichtig, in so einer Begleitung Unterstützung zu erhalten, dass man dort frei reflektieren kann und auch im Kampf mit Krankenkassen und Behörden unterstützt wird. Auch wenn es wenige Fälle sind, ist es wichtig, andere Ursachen wie multiple Persönlichkeit auszuschließen. Leider gibt es nur wenige Therapeuten, die sich auf das Thema spezialisiert haben. Wenn man Pech hat, gerät man an einen Therapeuten der Transsexualität als Krankheit betrachtet und einen nicht unterstützt, sondern noch Steine in den Weg legt.

Medizinisch ist der Begriff „transsexuell“ zwar richtig, aber insofern problematisch, dass in dem Wort „Sex“ enthalten ist und viele das leider falsch verstehen. Ursprünglich kommt es vom englischen Begriff „sex“, womit das körperliche Geschlecht gemeint ist und nicht „desire“, also wen man begehrt. Darüber hinaus gibt es noch den Begriff „gender“, der die Geschlechterrolle definiert.

Streng genommen wäre ein Mann, der in Elternzeit geht oder Kinder zuhause betreut, transgender. Das ist sehr allgemein gefasst und beschreibt nicht meine Situation. Ich bevorzuge den Begriff der Transidentität. Trans* kann ich akzeptieren, da ich aus der EDV komme und man dort das Sternchen als Abkürzungszeichen für verschiedene Varianten verwendet.

Die Kombination von Transidentität und Asperger tritt häufiger auf.

Die Ursachen für das überdurchschnittliche Auftreten dieser Kombination kennt man noch nicht. Allerdings werden Schwankungen des Hormonspiegels während der Schwangerschaft als eine Teilursache von Transidentität vermutet. In einer Phase werden körperliche Geschlechtsmerkmale ausgebildet, in einer späteren wird die Geschlechtsidentität festgelegt. Der Hormonspiegel kann variieren und somit für unterschiedliche Prägungen in den Phasen sorgen.

Bei vielen Leuten endet die Welt am eigenen Tellerrand, was jenseits stattfindet, interessiert sie nicht. Doch wenn man jemand Fremdes kennenlernt, dann ist er nicht mehr fremd. Es gibt vermutlich Eigenschaften, die deutlich häufiger auftreten und typischer sind. Aber für mich sind meine Transidentität und mein Asperger-Autismus Normalität.


 

Luchsi und ihre Katzengang