Lange bin ich mit einfachen Rollenbildern und sehr stereotypischen Ideen rumgelaufen und habe immer wieder gemerkt, dass ich mich nie wirklich einordnen kann. Wenn ich mir wünsche, als Mann wahrgenommen zu werden, dann geht es vor allem um Attribute oder anders gesagt möchte ich nicht mit Vorurteilen behaftet sein, die an Frauen kleben.

 


 

Mein Mann ist ein anatomischer Mann und ich eine anatomische Frau. Ich selber bezeichne mich als schwul, mein Mann sich als hetero. Er kommt damit klar und wusste schon vor unserer Beziehung, wie ich fühle.

 

 

 

Meine zwei Geschwister und ich gingen auf dieselbe Schule. Einige Mitschüler meiner Schwester dachten, wir seien vier Kinder zu Hause: Meine Schwester, die zwei Brüder, die sie vom Sehen kannten, und die Schwester aus den Erzählungen.

 

 

 

Hin und wieder wundern sich Leute über mich, aber ich bin doch eher unauffällig in meinem Transsein. Für viele bin ich eine Frau mit kurzen Haaren in Jeans und T-Shirt.

 

 

DENNIS

– 19/04/2018 –



Beim Geschlecht würde ich zwischen anatomischen Geschlechtsmerkmalen und dem gefühlten Geschlecht unterscheiden. Man könnte zur Identifikation als Erkennungsmerkmal in die Personalien eintragen, wie der Körper anatomisch aussieht, aber wenn es darum geht, wie jemand gesehen und angesprochen werden möchte, muss man es weiter differenzieren.

Selber würde ich mich als ‚nicht binär‘ bezeichnen, da ich mich auf keinen Fall als Frau fühle, sondern eher als Mann, wenn auch nicht hundertprozentig. Ich laufe mit einem Frauenkörper herum, trage aber teilweise einen Binder und habe kurze Haare.

Da ich niemandem auf die Füße treten möchte, halte ich eine Einordnung für hilfreich. Für mich fällt ‚nicht binär‘ unter dem Überbegriff ‚trans‘, wie eigentlich alles, was nicht ‚cis‘ ist und sich nicht eindeutig mit dem eigenen körperlichen Geschlecht definieren lässt.

‚Nicht binär‘ heißt für mich, dass ich „weder noch“ bin. Sicherlich könnte man mich auch unter ‚genderfluid‘ einordnen, da ich immer auch Phasen des Schminkens und Tragens von Kleidern habe, aber selbst dann fühle ich mich mehr als Mann, der ein Kleid trägt und sich schminkt. Ich habe relativ breite Schultern und sehe nicht aus wie eine typische Frau, erwarte das in so einem Moment aber, was es für mich schwierig macht, damit entspannt umzugehen.

Auch unter trans Menschen gibt es Erwartungen und Klischees.

Oftmals wird der Anspruch erhoben sich für eine Seite, für Mann oder Frau, entscheiden zu müssen und wenn man doch anders ist, dies auch deutlich zu zeigen. Sei es in Form von Kleidung, dass man mal Frauen- und mal Männerkleidung trägt oder diese kombiniert. Ich halte das für völlig übertrieben. Die meisten Leute laufen einfach in Hose und T-Shirt herum, egal ob Mann oder Frau. Aber trotzdem existieren diese Erwartungen an nicht binäre Personen.

Wenn man sein Geschlecht nicht so nach außen hervorhebt, fällt es den Menschen schwieriger einen einzuordnen. Einige fragen mich, ob ich Mädchen oder Junge bin, um mir nicht auf die Füße zu treten. Andere tun das bewusst, um ihr Missfallen zum Ausdruck zu bringen.

Für mich selber ist es auch nicht immer einfach, schließlich bin ich auch in dieser Gesellschaft groß geworden. Auch mir fällt es schwer, die eigenen Vorurteile loszuwerden und oftmals mangelt es einfach an passenden Worten, Begriffen und Definitionen. Was es für mich bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein, kann ich gar nicht sagen.

Lange Zeit habe ich immer wieder mit einzelnen Personen über mein Problem gesprochen, was ich damals gar nicht genau benennen konnte. Es war ein jahrzehntelanger Prozess bis ich überhaupt Begriffe und die Einsicht hatte. Auch jetzt ist es noch so, dass ‚nicht binär‘ auch für mich ein nicht ganz klarer Begriff ist, aber zumindest kann ich damit anderen erst mal erklären, was los ist.

An nichts anderes, als dass ich immer lieber ein Junge sein wollte, kann ich mich erinnern. Sehr lange erlag ich dem Kinderglauben, dass man sich aussuchen könnte, was man wird. Als kleines Kind hatte ich immer einen ziemlichen Penisneid auf meinen Bruder und bewahrte lange die Hoffnung, dass ich mich spätestens mit Einsetzen der Pubertät doch noch in einen Jungen verwandele, so wie man vielleicht auch die Hoffnung hat, dass es Einhörner gibt.

Ich schloss den Deal mit meinem Körper, dass ich bis ich 14 Jahre alt werde, nicht pubertiere. Daran hat er sich auch gehalten. Leider setzte vier Wochen nach meinem 14. Geburtstag meine Periode ein. Das war für mich furchtbar, es fühlte sich an wie eine Niederlage und so ist es auch heute noch. Alle vier Wochen frage ich mich, wann endlich die Wechseljahre kommen.

Meine Pubertät versuchte ich immer weitestgehend zu ignorieren. Mit Kampfsport lenkte ich mich von meinem Körper ab. Immer wenn ich mich doch mit ihm auseinandersetzen musste, empfand ich es als Strafe. Ich kam nicht drumherum und versuchte mich zumindest nicht lange damit zu beschäftigen und drüber nachzudenken.

Mit Anfang 20 im Studium kam die Phase, in der ich gänzlich männlich sein wollte. Ich hatte mit Karate angefangen, mir die Haare mit der Maschine super kurz geschnitten und nur noch Muskelshirts angezogen. Mit Mitte 20 gestand ich mir ein, dass mich die meisten Menschen dennoch als Frau wahrnehmen und probierte die Vorteile zu sehen. Man wird beispielsweise nicht ausgelacht, wenn man blöde Fragen zu technischen Dingen stellt. Es wurde für mich weniger schlimm und ich kam irgendwie klar.

Schwer war es jedoch die ganze Zeit über, dass ich nicht wusste, was mit mir los ist und ob ich es mir vielleicht nur einbilde. In all der Zeit habe ich nie jemanden getroffen, der das verstanden hat und war damit lange sehr alleine gewesen. Irgendwann habe ich mir selber nicht mehr geglaubt und probiert es auszureden.

Mit 15 Jahren ging ich in meine erste Beziehung, die fast 20 Jahre andauerte. Sie tat mir nicht gut, hatte aber den Vorteil, dass der Mann körperlich an mir nur ein äußerst marginales Interesse hatte und ich mich somit auch nicht mit meinem Körper auseinandersetzen musste. Mit Ende 20 habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt, auch wenn wir erst ein paar Jahre später zusammenkamen. Er findet mich wirklich so toll und nimmt mich auch so, wie ich bin. Schon vorher wusste er über meine Probleme mit meinem Körper Bescheid und unterstützt und stärkt mich, wo er kann. Dadurch fühle ich mich wohler in meiner Haut.

Wenn ich die Augen schließe und mich nicht anfasse, sondern nur meinen Körper fühle, dann ist alles super. Beim Waschen nutze ich meistens einen Waschlappen, damit ich mich nicht selber berühren muss. Manchmal, wenn ich neue Kleidung kaufen muss, schaue ich im Geschäft in den Spiegel und weiß sofort, dass ich nichts finden werde und wieder gehen kann, da ich mit meinem Spiegelbild schon nicht zurechtkomme. Es gibt aber auch gute Tage, an denen ich nicht vor diesen Problemen stehe.

Könnte ich mir einen Körper aussuchen, dann hätte ich keine Oberweite, sondern mehr Muskeln. Ob ich einen Penis unbedingt bräuchte, weiß ich nicht. Der würde wohl auch meine Beziehung behindern.

Als ich damals schwanger wurde, ließ ich meine Haare wieder wachsen.

Irgendwie musste ich es schaffen, mich in der Mutterrolle zu finden.

Das war anfangs für mich sehr schwierig, habe dann aber gemerkt, dass es mir das Kind ganz leicht macht. Die Schwangerschaft verlief problemlos, fünf Monate lang sah man den Bauch fast gar nicht. Erst zum Schluss musste ich es thematisieren und da konnte ich mich an den Gedanken schon gewöhnen. Als das Kind da war, war alles gut. Es gab nie die Probleme, vor denen ich Angst hatte. Die Befürchtung, dass ich keine Mutter sein könnte oder gar ein schlechtes Vorbild wäre, gerade für ein Mädchen, trat nicht ein. Das Kind macht das, es sagt einem, was es braucht.

Die langen Haare hatte ich bis meine zweite Tochter ein gutes Jahr alt war. Als ich mit Ballett anfing, hatte ich mir die Haare wieder kurz geschnitten. Nach den beiden Schwangerschaften war für mich klar, dass ich mich noch mal mit dem Thema auseinandersetzen muss. Mittels einer Internetrecherche stieß ich auf die Selbsthilfegruppe. Dort wurde ich gestärkt und habe Rückhalt erfahren, was mir dabei hilft, auch öffentlich über das Thema zu sprechen.

Seitdem ich mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe, entwickele ich mich freier. Ich ziehe einfach das an, was mir gefällt und trage die Haare so, wie ich will, ohne dass man das unbedingt eindeutig einem Geschlecht zuordnen kann.

Der Name Dennis stammt aus der Zeit, als ich für ein paar Monate in England war. Dort habe ich häufiger mit meinem Gastonkel Cricket gespielt. Ohne mich zu fragen oder es zu thematisieren, nannte er mich immer Dennis, nach dem neuseeländischen Cricket Spieler. Das hat mir sehr gut gefallen! Zu der Zeit hatte ich auch Bettwäsche von ‚Dennis the Menace‘, weswegen es für mich noch besser passte. Als ich dann in der Transidenten-Gruppe war und mir ein Namensschild machen musste, dachte ich gar nicht groß drüber nach und wählte sofort Dennis.

Hormone nehme ich nicht, selbst die Pille habe ich noch nie genommen. Ich bin kein Freund davon so sehr in den eigenen Hormonhaushalt einzugreifen, da es nicht unbedingt gesund ist, es sei denn es dient der psychischen Gesundheit.

Wäre ich noch mal 13 Jahre alt und könnte es mir super gut vorstellen, mein restliches Leben als Mann zu verbringen, dann würde ich es vermutlich in Erwägung ziehen, aktuell aber nicht. Sobald man männliche Hormone nimmt, sollte man auch über Operationen nachdenken, um ein erhöhtes Krebsrisiko zu vermeiden. Da warte ich jetzt lieber auf die Wechseljahre.

Mein Leben funktioniert momentan sehr gut und es wird immer besser. Solange es auf diesem Weg ist, werde ich nichts weiter machen. Wenn es irgendwann anders sein sollte, dann beurteile ich die Situation noch mal neu.

Meinen beiden Mädchen (drei und fast fünf Jahre alt) ist es bestimmt bewusst, dass ihre Mama auch irgendwie ein Mann ist. Für mich ist es nicht immer leicht, sie finden an meinem Körper alles gut, was mir nicht gefällt und sagen auch, wenn sie groß sind, bekommen sie auch einen Busen. Sie wissen, dass sie selber Mädchen sind und finden das gut. Manchmal überlegen sie, ob sie später selber mal Kinder wollen oder nicht.

Manchmal sagen sie auch, dass sie ein Papa sein wollen.

Sie sehen Menschen sehr individuell und wissen, dass Personen unterschiedlich aussehen. Ihren Anziehpuppen, auch wenn es sich anatomisch deutlich um Jungs handelt, geben sie Mädchennamen. Geschlechtliche Unterschiede sehen sie nicht als so wichtig an. Wenn sie mit Playmobil spielen und eine Familie bilden, dann nehmen sie oft zwei Männer oder nur Mädchen- und Frauenfiguren. Für sie ist das eine Familie.

Das finde ich gut! Ich würde es begrüßen, wenn diese Vorurteile, mit denen ich selber herumlaufe und groß geworden bin, sich mehr und mehr auflösen würden und man den Fokus auf das Individuum legt. Wen habe ich vor mir, wie heißt die Person, wie möchte sie angeredet werden. In der englischen Sprache nutzen manche Menschen die Pluralform ‚they‘, um eine geschlechtsneutrale Ansprache zu haben.

Wir sollten da offener und lockerer werden, dann würde für viele der Leidensdruck spürbar geringer werden. Vielleicht würde es dann auch mehr Menschen geben, die in ihrem Ausdruck freier werden und sich weniger dazu gedrängt fühlen, eine vollständige Angleichung zu machen. Wenn einfach vorher bewusst ist, dass das Spektrum groß und der Regenbogen bunt ist. Das ist glaube ich etwas, dass die Welt schöner, friedlicher und entspannter machen würde.

Ich fühle mich jetzt viel wohler und mich treibt nicht mehr diese Unsicherheit um. Die permanente Frage, was ich denn nun eigentlich bin, ist für mich in den Hintergrund gerückt, seitdem ich weiß, dass ich mich nicht entweder oder einordnen muss, sondern irgendwo in dem breiten Spektrum existieren kann.


 

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Privates Fotoalbum

 

Familienbild (Papa: blonde Figur, Mama: Figur mit Brille)