Im Supermarkt an der Kasse erzählte eine Kundin der Kassiererin, dass die Ex-Schwiegertochter von Soundso jetzt einen Mann hat, der vorher eine Frau war und sie es nicht verstehe, wie er das tolerieren könne. Ich klopfte ihr auf die Schulter, gab ihr meine Visitenkarte und sagte ihr, wenn sie mehr über mich wissen wolle, dann soll sie mich doch anrufen. Ihr ist dann alles aus dem Gesicht gefallen und sie lief knallrot an.

 

 

Meine Kampfsportschule musste ich nach dem Outing leider schließen. Erst bekam ich Beifall für meinen Mut, dann folgten Austritte und der finanzielle Ruin.

 

 

 

Viele Ärzte behaupten immer, sie wüssten über Transidentität Bescheid. Im nächsten Moment fragen sie mich dann aber, was ich denn mit meinem linken Arm gemacht habe.

 

 

 

Als ich Hartz IV beantragte, weigerte sich die Sachbearbeiterin mich richtig anzusprechen. Meine Beschwerde musste bis zur obersten Ebene der Kreisverwaltung gehen, bis ich nicht mehr als Frau aufgerufen wurde.

 

 

JARON

– 20/04/2018 –



Im Jahr 2012 habe ich einen Fernsehbericht über Balian Buschbaum gesehen. Das war das erste Mal, dass ich von dem Thema ‚Trans‘ gehört habe. Ich wusste sofort, dass es genau das ist, wonach ich immer gesucht habe. Gleichzeitig kam mir der Gedanke, dass ich bekloppt sei und es nicht bringen kann, schließlich war ich verheiratet und hatte Kinder und verdrängte den Gedanken wieder.

Mein bester Freund hat dann das Outing an mich herangetragen. Als er nach ein paar Wochen im Ausland wiederkam, waren wir zum Bier verabredet. Zur Begrüßung umarmten wir uns, doch er schob mich sofort wieder weg und meinte, dass er die Schnauze gestrichen voll hat. Ich verhielte mich ja noch nie wie eine Frau, aber inzwischen fühlte ich mich nicht mal mehr so an und er fragte mich, wann ich denn endlich was ändern würde. Da musste ich schlucken und im nächsten Moment brachen alle Dämme ein und ich hatte losgeheult.

Wir gingen dann zu ihm und ich erzählte das erste Mal in meinen Leben, was in mir alles los ist. Für ihn war das kein Problem, er wusste seitdem wir uns kennen (er war vier, ich zwölf Jahre alt und sein Babysitter), dass ich sehr unglücklich bin. Er meinte, dass ich diesen Weg endlich gehen soll um glücklich zu werden. Das war für mich ein ganz krasser Moment. Über einen seiner Kontakte bin ich zur Selbsthilfegruppe gekommen.

Mit seiner Hilfe konnte ich mich ausprobieren. Da wir ungefähr die gleiche Statur hatten, gab er mir Klamotten von sich und wir waren an Wochenenden gemeinsam feiern. Oftmals fuhren wir nach Holland zu seiner Clique, schossen uns ab, damit ich das Ganze nicht realisieren musste. Für die Holländer war ich einfach Jaron, ein Mann. Das wurde nicht hinterfragt. Das war sehr aufregend und faszinierend!

Doch nach jedem Wochenende fiel es mir schwerer, in mein Leben zurückzugehen. Irgendwann stand ich vor der Entscheidung, ob ich diesen Weg dauerhaft gehe oder mich umbringe, denn so wie es war, ging es nicht weiter.

Manche begehen leider Suizid, für mich war das nie eine Option.

An Ostern 2014, nach zwei Jahren Doppelleben, outete ich mich dann bei meinem Ex-Mann und meinen Söhnen. Zwei Wochen lang herrschte Fassungslosigkeit. Mein Freundeskreis war nicht wirklich verwundert, einer meiner Kumpel meinte zu mir, dass ich für ihn noch nie eine richtige Frau war. Es ist auch ziemlich kurios, wenn du als einzige Frau zum Männerabend zum Saufen eingeladen wirst. Ein oder zwei Freunde hatten sich dann verabschiedet, sie konnten damit nicht umgehen.

Meiner Familie und Verwandtschaft fiel es sehr schwer und sie lehnten es ab. Gerade bei meiner Schwester hätte ich es nicht erwartet, da sie schon vorher Kontakt zu trans Menschen hatte. Zu meiner Mutter hatte ich schon vorher ein schwieriges Verhältnis, das änderte sich dann auch nicht.

Am schlimmsten ist es für mich, dass ich inzwischen keinen Kontakt mehr zu meinen Kindern habe. Mehrfach habe ich es probiert, aber die Post kam ungeöffnet zurück. Inzwischen habe ich weder Telefonnummer noch Adresse.

Ich hatte unendlich viele Bilder im Kopf, wie ich lieber aussehen würde. Man fühlt sich einfach nicht richtig im eigenen Körper. Als mir damals die Brüste wuchsen, hatte ich eine Essstörung entwickelt und probierte, meine Brüste abzutrainieren. Insofern hatte ich mich geradezu auf das Körperliche versteift. Am liebsten wollte ich eine Mischung aus meinem jüngsten Sohn, der war damals 14 Jahre alt und voll in der Pubertät, und meinem besten Freund sein, der als Student auch als Model unterwegs war.

Mit den Hormonen kann man sich dann endlich verändern. Da übertreibt man schnell und versucht die verpasste Jugend nachzuholen. Extremsportarten, Bodybuilding, Saufen ohne Ende und den Macho bis ultimo raushängen lassen. Man will dem zuvorkommen, dass jemand die eigene Männlichkeit anzweifelt.

Der Bart war mir sehr wichtig! Anfangs schnitt ich mir meine Kopfhaare kurz und klebte die abgeschnittenen Haare mit Theaterkleber als Bart an, was niemandem auffiel. Als mein eigener Bart dann wuchs, färbte ich ihn zunächst nach, da er sehr hell war. Als ich einmal meinen Bart abrasierte, hätte ich heulen können. Ich hatte das Gefühl, in mein altes Gesicht zu schauen und hatte mich fast zwei Wochen nicht aus dem Haus getraut. Heute ist mir das nicht mehr wichtig.

In der Selbsthilfegruppe wurde mir geraten, mir langsam einen neuen Namen zu überlegen, doch mir fiel keiner ein. Bisher hatte ich nur trans Männer kennengelernt, die sich eine Handvoll Namen aus amerikanischen Krimiserien gegeben hatten. Das war nicht so meins.

Erst als ich irgendwann durch das Fernsehen gezappt hatte und bei einer Dokumentation stehen blieb, fand ich meinen Namen. Es ging um einen israelischen Schriftsteller namens Jaron und es wurde erklärt, dass der Name in zig verschiedenen Sprachen ausgesprochen werden kann und „er wird glücklich sein“ bedeutet. Da war für mich klar, das ist meiner.

Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, mich nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen zu können, weil ich mit Mitte vierzig aussah wie mit sechzehn.

Doch als mein bester Kumpel Geburtstag und ich seine Feier verpeilt hatte, blieb mir nichts anderes übrig und ich bin zur Tankstelle um eine Flasche Wodka und Zigaretten zu holen. Dort wollte man meinen Ausweis sehen, doch ich hatte noch keinen neuen. Also legte ich meinen Ausweis als Frau und meinen Ergänzungsausweis hin und der Typ liest und liest und war sichtlich irritiert. Ich meinte dann zu ihm, falls er das Deutsche nicht verstehe, stehe es auf der Rückseite auch noch in englischer und französischer Sprache. Er entgegnete mir „wie geil ist das denn“ und grüßt mich auch heute noch. Zum Glück ging dann später die Namens- und Personenstandsänderung bei mir problemlos durch.

Am Anfang meinte ich ganz oder gar nicht in Bezug auf OPs. Zwischendurch hatte ich überlegt, den Aufbau wegen der Risiken nicht zu machen, sondern eine Silikonprothese anfertigen zu lassen, die speziell auf Körperfarbe und -größe abgestimmt wird. Da gibt es dann zwei: eine, mit der man urinieren kann und eine für Geschlechtsverkehr. Die Kosten werden auch durch die Krankenkasse übernommen, allerdings wird man dann dazu gedrängt, auf den Aufbau zu verzichten. Ich kam zu dem Entschluss, dass ich auf Dauer doch Gefühl darin haben möchte.

Bisher hatte ich sechs Operationen, das ist eine mehr wie Minimum, aber deutlich weniger als andere haben – fünfzehn Stück sind keine Seltenheit, da es sehr komplizierte Verfahren mit vielen Risiken sind. Im November letzten Jahres hatte ich eigentlich die letzte Operation, bei der die Pumpe eingesetzt wurde. Im Februar musste ich aber notoperiert werden, weil sich alles entzündet hatte. Im Juni soll die neue eingesetzt werden, hoffentlich dann ohne Komplikationen.

Bei dem Wort Geschlecht denke ich auch zuerst an Genitalien.

Aber ich weiß, dass es das nicht ist, sondern dass es sich um ein inneres Identitätsgefühl handelt. Es gibt nicht nur Mann und Frau, jeder fühlt unterschiedlich. Für mich war ganz klar, dass ich mich nicht als Frau, sondern eindeutig als Mann definiere. Auch wenn ich von dem starren Geschlechterkonstrukt weg bin, glaube ich, dass wir Menschen etwas brauchen, an dem wir uns festhalten und über das wir uns identifizieren können, sonst hätten wohl weitaus mehr Menschen Identitätsprobleme.

Aber unser gefühltes Geschlecht ist nichts Anerzogenes, sondern die soziale Rolle, die wir einnehmen. Ich kann mich genauso als Mann fühlen, wenn ich Hausarbeiten erledige, als wenn ich männlichen Rollenklischees nachgehe. Dabei erwische ich mich jedoch immer wieder, dass ich gewisse Erwartungen an mich selbst richte, die sich aus den Stereotypen ergeben.

Auch als trans Mann begegnet man speziellen Klischees. Generell sagt man uns nach, dass wir mega wehleidig sind, dass wir alle unsere Probleme auf die Trans-Thematik schieben und gerne in jeder Hinsicht übertreiben. Aber auch, dass wir viel jünger aussehen.

Leider habe ich auch erlebt, dass trans Menschen untereinander so intolerant sind, dass es schlimmer gar nicht geht. Wenn du Zeit zum Nachdenken über die OPs brauchst oder diese gar ablehnst, gibt es Leute, die dir unterstellen, kein richtiger trans Mann zu sein. Das kommt gerade unter Jüngeren häufiger vor. Für mich ist das ein Widerspruch in sich. Wir erwarten von der Gesellschaft Toleranz und Akzeptanz und schaffen es nicht, diese gegenseitig für uns aufzubringen.

Da ist es wichtig, aufzuklären, nicht nur innerhalb der Community, sondern auch in der Gesellschaft. Je mehr von uns die Thematik nach außen tragen, desto mehr Leute können davon erfahren. Wenn ich in Schulen gehe, zeige ich den jungen Menschen, dass das nicht nur in Berlin passiert, sondern auch vor der eigenen Haustür.

Viele von uns wollen nicht aufklären, sondern möglichst mit der Thematik und ihrer eigenen Vergangenheit abschließen. Ich selber habe solche Phasen gehabt, in denen ich nicht darüber reden wollte, in denen ich einfach an einem Ort leben wollte, an dem niemand davon weiß. Doch die Vergangenheit holt einen immer wieder ein, sie ist ein Teil von einem. Wer diese leugnet, leugnet sich selbst. Man wird kaum glücklich, wenn man nicht den richtigen Umgang damit lernt. Aber das heißt nicht, dass man nur darüber reden möchte.

Man will sich auch über alltägliche Dinge austauschen und bei manchen Bekannten ist das leider nicht mehr möglich. Da wird man nur auf dieses Thema reduziert. Das nervt total. Da finde ich es toll, dass der Ex-Schwiegervater meiner Freundin über mich Bescheid weiß, aber trotz seiner 75 Jahre zu hundert Prozent hinter mir steht, auch wenn wir da nicht drüber reden. Ich bin für ihn die Person die ich bin und fertig.

Ich bin nun endlich in mir selbst angekommen. Hätte ich mich als Frau wohl gefühlt, wäre das für mich auch okay gewesen. Ich als Mensch habe mich nicht verändert, nur bin ich ruhiger geworden, da ich mich nicht mehr verstellen muss. Mannsein ist für mich nicht dicke Muskeln zu haben und Fußball zu spielen. Mann ist auch nicht gleich Mann, sondern das ist ein individuelles Gefühl.

Mannsein bedeutet für mich, einfach nur ich sein zu können.

Ich bin nun soweit erst mal fertig. Für mich hat nun mein Studium die oberste Priorität und danach möchte ich endlich wieder ans Arbeiten kommen im richtigen Job.


 

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Transwerdegang

 

Porträtaufnahme, 1990