Ich wusste nie so recht, wie ich zum Ausdruck bringen kann, was ich fühle. Ich habe immer gedacht, der Gedanke „ich will ein Mann sein“ verhält sich so wie „ich will Millionär sein“. Das konnte ich einfach nicht sagen. Bis ich irgendwann, ohne groß drüber nachzudenken, gesagt habe: „Ich fühle mich nicht als Frau!“ Das war für mich einfacher zu sagen, weil ich im Frauenkörper stecke. Zwar gelte ich als Frau, aber ich fühle mich nicht danach. Ich weiß nicht, wie man sich als Frau fühlt.

 

 

Menschen, die es nicht verstehen wollen, kann man es auch nicht erklären. Sie weigern sich und stempeln einen nur als bekloppt ab.

 

 

 

Als ein Geschäftspartner meines Vaters mich als meinen Bruder und ihn als mich begrüßt hatte, war ich riesig erfreut. Mein Bruder weniger.

 

 

 

Nach meinem Outing war mein Ex-Mann überzeugt, Satan sei in mich gefahren.

 

 

SILAS*

– 09/05/2018 –



Immer wenn ich klischeehaft weibliche Frauen sehe, frage ich mich, wie sie das können. Ich konnte nie so weiblich sein und habe für mich versucht, einen Mittelweg als sportlicher Typ Frau zu finden. Aber auch das hat für mich nie wirklich funktioniert.

Bis mir bewusst wurde, dass ich ein Mann bin, dauerte es. Unterbewusst bestimmt schon ab dem vierten oder fünften Lebensjahr, da ich damals schon immer zu den Jungen dazugehören wollte. Das bedeutet natürlich nicht gleich, dass man im falschen Geschlecht steckt. Bewusst wurde mir das in der weiterführenden Schule, so etwa mit zehn Jahren. Ich wollte nicht als Mädchen gesehen werden und war immer glücklich, wenn mich jemand als Junge identifizierte.

Auf einer Jugendfreizeit war ich mit einem Jungen zusammen, dem ich sagte, dass ich eigentlich gar kein Mädchen bin und auch nicht so gesehen werde möchte. Er meinte dann zu mir, dass man es aber sieht, dass ich unten keine Füllung habe und deswegen kein Junge sei. Das hatte mich so sehr schockiert, dass ich fortan immer die Hosen runtergezogen und tief getragen habe.

Ich musste mich mein ganzes Leben lang verstecken. Mir fehlten Begrifflichkeiten und ich wusste nicht, dass es so etwas wie Transidentität überhaupt gibt. Zwar war ich immer ziemlich burschikos, aber ich versuchte zeitweise die Rolle einer Frau zu übernehmen. Damit habe ich mich nie wohl gefühlt.

Später habe ich aus Angst, ich könnte meinen Kindern schaden, gehadert maskuliner aufzutreten. Bis ich es nicht mehr ausgehalten hatte. Ich war depressiv, mehrmals in der Reha und habe beim dritten Mal endlich geschafft, es anzusprechen. Daraufhin bot man mir Hilfe an und ich habe mich dazu entschieden, diesen Weg zu gehen. Das war ungefähr im August 2016.

Nach zwei oder drei Monaten Vorbereitungszeit habe ich angefangen mich bei meinen besten Freunden zu outen. Danach kamen dann die Familie und der erweiterte Bekanntenkreis. Dass ich trans bin, wurde in meiner Familie nicht mit Begeisterung aufgenommen und inzwischen reden wir kaum noch darüber. Meine Mutter, mein Ex-Mann und die Kinder haben Probleme damit. Meine Geschwister haben es so hingenommen und mussten sich nur umgewöhnen.

Meine beiden Kinder ignorieren das Thema und umgehen es.

Außerhalb reden sie überhaupt nicht darüber und wenn Freunde von ihnen zu Besuch kommen, wird es ignoriert. Ich habe sie auch schon mal gefragt, ob es zu irgendwelchen Problemen gekommen ist, aber das verneinen sie.

Mein Ex-Mann glaubt, ich sei vom Teufel besessen und nennt mich weiterhin bei meinem alten Namen. Er meinte, dass unsere Kinder nicht mehr bei mir sein dürfen. Sie müssen von mir weg, da sie sonst noch das gleiche Schicksal wie mich ereilen würde. Getan hat er aber nichts, das wäre aber auch nicht erfolgversprechend gewesen. Wenn über meine Transidentität geredet wird, dann wird es eher ins Lächerliche gezogen. Das finde ich natürlich nicht toll, aber ich habe gelernt, es nicht an mich herankommen zu lassen. Spätestens wenn die Kinder groß sind, werde ich nichts mehr mit meinem Ex-Mann zu tun haben.

Außerhalb meiner Familie hat niemand große Probleme damit. Zwar verstehen es nicht alle, aber deswegen werde ich nicht gleich diskriminiert. Schwierig für viele ist nur die richtige Verwendung des Personalpronomens und des neuen Namens. Andere wiederum finden meine Veränderung spannend und unterstützen mich, auch wenn mir das manchmal zu weit geht, wenn sich das Gespräch nur um mich dreht.

Im Grunde genommen habe ich aber jetzt das Glück, dass das Thema weiter in unserer Gesellschaft verbreitet ist, dass Aufklärung stattfindet und man auch positive Reaktionen erhält. Daran muss man aber immer weiterarbeiten, denn diese Aufklärung und Akzeptanz ist notwendig für unser Leben.

Derjenige, der diesen Weg geht, beschreitet ihn nicht aus Langeweile. Er kann nicht anders. Jemand der zweifelt, würde es nicht durchziehen, da es eine zu schwere Belastung ist. Sicherlich braucht jeder seine eigene Zeit und gerade am Anfang weiß man nicht alles. So habe ich früher Operationen abgelehnt, aber seitdem ich mir mit dieser Sache so sicher bin, werde ich es konsequent durchziehen und nichts bereuen.

Die Mastektomie und Hysterektomie möchte ich machen lassen. Dazu habe ich in ein paar Wochen den ersten OP-Termin und bin schon sehr aufgeregt, auch wenn ich versuche das ein wenig beiseite zu schieben. Ich hoffe, dass alles komplikationslos verläuft und die Ergebnisse gut werden.

Wenn alles abgeheilt ist, werde ich oben ohne schwimmen gehen!

Schwimmen war ich seit anderthalb Jahren nicht mehr, davor mit den Kindern zusammen. Außerhalb des Wassers habe ich immer ein T-Shirt getragen. Ein Badeanzug ging für mich nie, mit Bikinis hatte ich auch so meine Schwierigkeiten und habe mir dann sportliche Schwimmwäsche geholt. Eine Badehose habe ich mir vorbereitend auch schon gekauft.

Einzelumkleiden sind kein Problem, bei gemeinschaftlichen Umkleiden hätte ich allerdings ein Problem. Ich bin nicht eher auf die Männertoilette gegangen, bis eindeutig klar war, dass ich auch als Mann gelesen werde. Dort gehe ich immer in eine Kabine, mag es allerdings nicht, wenn die Wände unten zu hoch geschnitten sind, da man dann sehen kann, dass meine Füße nach vorne zeigen – ich also sitze und nicht im Stehen uriniere. Zwar glaube ich nicht, dass da unbedingt einer drauf achtet, aber in meinem Kopf ist es ein Problem, weswegen ich immer darauf achte, dass niemand in der Kabine neben mir ist.

Dass Mannsein stark sein bedeutet und dass er die Familie zu ernähren und anzuführen hat, sind Rollenklischees. Davon sollten wir uns frei machen. Wir sind differenzierter geworden, gesellschaftliche Grenzen verschieben sich. Aber auch heute werden noch unterschiedliche Erwartungen an Mann und Frau gerichtet. Damit spiele ich aber gerne, jetzt, wo ich als Mann gesehen werde.

Als ich meinen neuen Ausweis abgeholt habe, zog ich eine Nummer, setzte mich und wartete. Meine Brille hatte ich kurz auf dem Stuhl neben mir abgelegt und, ohne es bewusst wahrgenommen zu haben, sofort wieder eingepackt. In meinen Gedanken lag sie da noch und als sich eine Frau dort hinsetzen wollte, griff ich vor Schreck auf den Sitz. Die Frau setzte sich dann auf meine Hand und ist sofort erschrocken wieder aufgesprungen und warf mir einen bösen Blick zu. Ich, selber erschrocken, erklärte schnell die Situation und entschuldigte mich. Als Frau wäre es nicht so problematisch gewesen, aber jetzt, wo ich als Mann wahrgenommen werde, kann es schnell falsch gedeutet werden.

Nach einer Stunde Wartezeit ging ich noch mal zurück zum Nummernkasten und entdeckte, dass es verschiedene Kategorien gab. Ich hatte, wie bei der Beantragung, die Nummer für Meldewesen gewählt. Als ich dann jedoch gesehen habe, dass es eine extra Kategorie nur für die Abholung gibt und ich in meiner Verärgerung der Empfangsdame davon erzählte, entgegnete sie mir sofort „Na typisch Mann und Tunnelblick“. Daraufhin musste ich grinsen und freute mich.

Durch die Hormontherapie befinde ich mich spürbar in einer zweiten Pubertät. Ich probiere vieles aus, probiere mich aus und bin zwischendurch auch launisch. Aber es macht Spaß! Durch die Auswirkungen bin ich mit meinem Gesicht schon sehr zufrieden, nur meine Brust muss ich aktuell noch kaschieren.

Gerne wäre ich ein gutes Stück größer und vielleicht auch muskulöser, aber so wie ich jetzt bin, kann ich auch leben. Ich bin so wie ich bin und vermisse nichts von früher, nur wäre ich diesen Weg gerne früher gegangen.

Meine Identität ist eine andere, als die, die mir bei der Geburt gegeben wurde. Ich bin keine Frau, sondern ein Mann. Von daher ist der Begriff ‚Transidentität‘ für mich der richtige Ausdruck. Ich kann nun endlich die Person sein, die ich sein möchte.

Meinen neuen Namen habe ich mir von klein auf selber gegeben, er war irgendwann einfach da. So habe ich mich dann auch wieder bewusst für ihn entschieden, denn mit dem Namen bin ich groß geworden. Für mich ist er mein Geburtsname. Trotzdem war es am Anfang ungewohnt, so genannt zu werden. Auf meinen alten Namen reagiere ich zwar noch, aber ich merke, dass es nachlässt.

Die Namens- und Personenstandsänderung verlief bei mir problemlos. Antrag stellen, zwei Gutachten anfertigen lassen und dann bekommt man den Bescheid.

Meine Kinder dürfen mich auch weiterhin Mama nennen.

Das erlaube ich ihnen, schließlich sagen sie das ihr ganzes Leben lang schon zu mir und ich würde es deshalb nicht gut finden, ihnen das zu verbieten und wegzunehmen. Nur außerhalb der Wohnung möchte ich nicht so genannt werden, wenn andere das mitbekommen könnten. Da umgehen sie das meistens.

Aktuell beschäftige ich mich nicht mit Dating, auch war ich noch nie jemand, der bewusst auf der Suche war. Ich möchte meine Kinder nicht damit noch zusätzlich belasten, sie sollen erst mal soweit groß werden und im Leben klarkommen. Vielleicht ergibt sich danach dann etwas.

Generell bin ich, seitdem ich diesen Weg gehe, offener und selbstbewusster geworden und spreche mehr, was auch meinem Umfeld aufgefallen ist.

Bauchschmerzen bereitet mir aktuell nur mein Berufsleben, was ich aber nach den Operationen endlich in Angriff nehmen kann. Ich möchte meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten.

In meinem Prozess bin ich aber schon sehr weit und wenn in ein paar Jahren die Veränderungen durch die Hormone abgeschlossen sind und die Narben durch die Operationen verheilt, dann habe ich es endlich geschafft.

 

*Name auf Wunsch geändert


 

Fragebogen zu Therapiebeginn

„Träumerei meines wahren Ichs“, 1987