Ganz oft wird man auf die eigenen Geschlechtsteile reduziert, gerade wenn man äußerlich als trans erkennbar ist. Die Hemmschwelle der Menschen ist geringer. Anfangs wurde mir öfter gesagt, dies und jenes sei an mir zu weiblich. Deswegen möchte ich individuell entscheiden können, wem ich es erzähle und finde es scheiße, wenn jemand anderes es weitererzählt. Ich bin ein Mann und möchte auch so wahrgenommen werden. Jemand der männlich aussieht wird dafür gehalten, das wird nicht in Frage gestellt. Wenn aber jemand weiß, dass du trans bist, ist es wieder Thema.

 

 

Es ist keine freie Entscheidung, sondern eine Notwendigkeit. Man muss den Schritt gehen. Ich habe mir nicht gedacht: Boah geil, endlich hab ich irgendwelche Alleinstellungsmerkmale!

 

 

 

Vor meinem Outing hatte ich das Gefühl, mich zu verkleiden. Wenn ich mich früher in den Augen anderer als Junge verkleidet hatte, dann war das für mich etwas Cooles, es hatte sich richtig und nach mir angefühlt.

 

 

 

Ich muss mich immer noch daran gewöhnen, dass sich Männer gegenseitig unnötig wehtun. Sie boxen sich zum Beispiel gerne in die Brust, das verstehe ich aber als Zeichen der Zuneigung. Nur kurz nach meiner OP war das schmerzhaft.

 

 

 

Ich hatte kein Idealbild im Kopf, sondern wollte Dinge an mir ändern. Der Versuch Muskeln aufzubauen, ist bisher gescheitert. Gesellschaftlich gelte ich jetzt wohl als Lauch.

 

 

LEON*

– 21/03/2018 –



Bei Kindern unterscheiden sich die Körper nicht so krass. In der Grundschule lief ich mehr wie ein Junge herum, als ich auf der weiterführenden Schule darauf angesprochen wurde, war es mir sehr unangenehm und ich versuchte es kleinzureden. Ich wusste, dass Menschen etwas anderes von mir erwarteten. Trotzdem hatte ich den Gedanken, dass ich es gerne wollte, doch es ging nicht. Gerade wenn man noch jugendlich ist und nichts zu entscheiden hat, ist es sehr schwierig für einen damit klar zu kommen.

Vieles ist eine Phase, Transsein ist es nicht. Man selber versucht zwar es zu verdrängen, aber das funktioniert nicht.

Mit Beginn des Studiums zog ich nach Bayern. Dort wurde ich nachdenklich. Ich war unzufrieden mit mir und meiner Kleidung, woraufhin ich mir Männerunterwäsche kaufte. Dann bin erst mal in mich zusammengebrochen. Ich verspürte den sehnlichen Wunsch, dass es meine Unterwäsche wäre.

Trans war mir ein Begriff, in meinem Tagebuch schrieb ich damals: „Ich will damit nichts sagen, aber ich kann trans Menschen schon ganz gut verstehen.“

In einem Sommerpraktikum erzählte mir eine Mitpraktikantin von ihrem älteren trans Bruder. Es wurde für mich realer, meine Gedanken kreisten weiter und ich wusste, dass es wohl auch auf mich zutrifft. Darüber redete ich mit meinen Freunden und meiner damaligen Freundin.

Vorher dachte ich, dass trans Männer bestimmt machohaft sind.

Aber es geht vielmehr um Authentizität. Viele haben kein Problem mit ihrer weiblichen Seite und einige sind auch schwul und stehen dazu.

Am schwierigsten war für mich die Anfangsphase mit dem Outing und den Konsequenzen auf der sozialen und psychologischen Ebene. Leute kamen auf mich zu, unwissend, wie sie damit umgehen sollten. Leute, mit denen man nicht mehr befreundet sein wollte, weil das ein zu großes Problem für sie war.

Mit meiner drei Jahre jüngeren Schwester bin ich ziemlich dicke und erzählte es ihr auch. Meiner restlichen Familie erzählte ich das während eines Heimatbesuchs, da meine Schwester Angst hatte sich zu verplappern.

Mein Bruder, damals zwölf Jahre alt, fand das total geil endlich einen Bruder zu haben. Meine kleinste Schwester, sie war neun Jahre alt, hat es nach meiner Erklärung ganz entspannt aufgenommen. Für Eltern ist das immer schwierig und eine Gewöhnungssache.

Meinem erweiterten Familienkreis rutscht zwischendurch noch das falsche Pronomen raus, wodurch ich zutiefst betroffen bin. Für mich ist es total scheiße und am beschissensten ist es, wenn sich die Person nicht mal entschuldigt. Ich gerate dann für eine Zeit in ein depressives Denken und finde alles scheiße.

Bei mir hat es ein Jahr gedauert, bis ich die Indikation zur Hormonbehandlung bekam, da ich mich mit meiner ersten Therapeutin nicht wirklich verstand. Es war eine quälend lange Zeit, in der ich weiterhin von außen als Frau identifiziert wurde. Wie soll man es ausprobieren, den Alltagstest machen, wenn man nicht als Mann gesehen wird? Als ich dann aus Bayern wieder zurück in die Heimat zog und eine neue Therapeutin hatte, ging es recht schnell.

Durch das Testosteron traten wieder Pubertätsprobleme wie Pickel oder Schwindel auf. Ich brauchte mehr Schlaf und es war schwerer den Tag durchzuhalten und konzentriert zu bleiben. Aber die positiven Effekte überwogen! Die vielen Rundungen, die mir vorher zu schaffen machten, sind durch die veränderte Fettverteilung weg – jetzt sammelt es sich dafür eher am Bauch. Der Hosenkauf ist aufgrund des breiteren Hüftknochenbaus immer noch schwierig. Der Haarwuchs hat sich verstärkt, der Bart war mir sehr wichtig und so langsam kommen auch die Brusthaare.

Eigentlich hatte ich mich mit einem anderen Namen identifiziert, aber der Patensohn meiner Mutter heißt leider schon so. Inzwischen bin ich aber ganz froh, meinen neuen Namen zu haben. Der tauchte irgendwann auf, als ich mit meiner Schwester über Vornamen schrieb. Ich fand ihn cool und besonders, so heißt nicht jeder, aber ich musste mich erst daran gewöhnen.

Einerseits ist es total gut, dass es ein Transsexuellengesetz gibt und man diesen Weg gehen kann, andererseits dauert es viel zu lange und kostet viel zu viel Geld. Man macht es nicht aus Spaß und es würde helfen, wenn allein die Gutachter nicht so teuer wären oder man beim Gericht eine höhere Priorität hätte. Bei mir hat es ein Jahr gedauert.

Die Gutachten sind häufig ein Witz. Bei mir hatte sich der eine keine richtigen Notizen gemacht und meinte fälschlicherweise, meine Eltern würden in Würzburg wohnen, der andere hatte durchgehend das weibliche Personalpronomen verwendet, da er der Meinung war, dass man es erst nach der Änderung verwenden darf. Da tauchen dann so Formulieren auf wie „sie wirkt wie ein Mann“ oder „sie hat männliche Kleidung an“.

Viele haben keine Ahnung und beurteilen einen trotzdem.

Wonach soll man auch beurteilen, ob jemand Mann oder Frau ist? Letztlich hat es viel mit Rollenverständnissen zu tun. Man ist ein Sohn, ein Arbeitskollege, ein Bruder, etc. und einem werden bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugesprochen. Aber ein Mann ist wie eine Frau einfach ein Mensch.

Es ist ein Prozess, sich in den verschiedenen Lebensbereichen auch als Mann wahrgenommen zu fühlen. Zwischendurch vergesse ich es, trans zu sein, aber ich werde immer wieder damit konfrontiert. Ich schiebe es nicht weg und wenn mich jemand darauf anspricht, würde ich es auch zugeben. Das passiert heute aber weniger, weil man es optisch erkennt, sondern weil sich jemand verplappert hat.

Geschlecht ist eine Mischung aus Kopf und Körper. Für mein eigenes Gefühl ist es nicht schön, kein männliches Genital zu haben, aber für alle anderen sollte das irrelevant sein. Transgender halte ich für mich als den passenden Begriff. Es geht nicht um die Sexualität, sondern um das soziale Geschlecht.

Seit der Mastektomie muss ich meine Brust nicht mehr mit einem Binder abbinden, um sie zu verstecken. Oberkörperfrei zu sein ist für mich aber aufgrund der zwei großen OP-Narben dennoch schwierig. Ich möchte nicht, dass die jemand sieht, insofern muss ich immer viel planen.

Inzwischen bin ich mehr im Reinen mit meinem Körper, aber nicht gänzlich. Mit Klamotten fühle ich mich wohler, aber noch immer habe ich große Probleme mit mir. Dieses Gefühl wird wohl nie ganz vergehen. Vielleicht wenn ich einen Penoidaufbau hätte, aber momentan sind mir die Risiken zu hoch und die Ergebnisse zu wenig zufriedenstellend, als dass ich mich mehreren OPs unterziehen würde.

Bei vielen entstehen Komplikationen, die Erektionspumpe muss alle 10 Jahre gewechselt werden und durch die Entnahme eines Hautlappens am Unterarm wird man immer eine große sichtbare Narbe haben. Es sieht hinterher auch selten wie ein biologischer Penis aus und die Reaktionen sind oft verhalten.

Ich würde mich eher als hetero bezeichnen, da ich sehr sehr krass auf Frauen stehe. Prinzipiell ist es mir aber egal, ich könnte mich auch in einen Mann verlieben. Da ich aber früher schon eine Freundin hatte, werde ich das selten gefragt. Was ich nicht verstehe, warum Homosexualität unter Frauen kein Problem ist, aber unter Männern immer noch so verpönt.

Wie ich im Datingkontext mit dem Thema umgehe, muss ich noch herausfinden. Manchmal weiß man, ob sich jemand schon mit dem Thema beschäftigt hat oder nicht. Auf keinen Fall würde ich es einer Frau direkt am Anfang erzählen, da es mich quasi sofort zu einem neutralen Subjekt machen würde. Das verunsichert mich. Mit den Frauen, denen ich es bisher erzählt habe, wurde es nie etwas, aber ob es daran gescheitert ist, weiß ich nicht. Ich mache mir aber viele Gedanken dazu.

Es ist schwieriger für mich. Der Versuch mal jemanden von einer Party mit nach Hause zu nehmen hat für mich nicht funktioniert. Ich kann nicht sagen, dass ich voll locker drauf bin und mal sehe was es wird. Es wird schwierig mit Frauen, die ich vorher nicht kenne, da es auch viel mit Vertrauen zu tun hat. Spätestens wenn man intim wird, muss ich mich outen.

Menschen, die das nicht wissen, gehen ganz anders mit mir um als vorher. Es werden Aussagen getroffen wie „du bist ein Typ, du weißt das gar nicht“, auch wenn ich es vielleicht doch nachvollziehen kann, wie beispielsweise die Schmerzen während der Periode.

In einer Freundschaft erreicht man irgendwann den Punkt, an dem ich es erzähle. Als ich frisch Testo bekommen habe, hatte ich einen gesellschaftlichen Druck verspürt, es sofort erzählen zu müssen. Der hat sich inzwischen gelegt.

Wir sind auf einem guten Weg hin zur Akzeptanz jedes Einzelnen.

Ich hoffe, dass die Gesellschaft irgendwann über das Transsein soweit aufgeklärt ist, sodass man sich nicht immer erklären muss, das würde unser Leben vereinfachen.

Untereinander tauschen wir uns aus und helfen uns gegenseitig. Wir sind alle bedacht darauf, nett miteinander umzugehen. Selber leite ich eine Jugendtransgruppe und war schon mal mit einer Transgruppe auf Freizeit. Wir waren so um die 40 trans Jugendliche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das war schon cool! Anfangs war ich auch in vielen Onlinegruppen unterwegs, inzwischen nicht mehr. Das half vor allem bei größeren Fragen am Anfang.

Was man als Außenstehender zumindest wissen sollte, ist, dass trans Menschen sehr viele Probleme haben und keine weiteren von außen brauchen, sondern Unterstützung. Wir alle sollten ein Stückchen mehr die Leute akzeptieren und sie nicht auch noch unter Druck setzen.

 

*Name auf Wunsch geändert


 

Prozesskostenhilfe (Vornamens- und Personenstandsänderung)

 

 




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